Montag, 22. April 2019
REYKHOLT
Gut 100 Kilometer westlich von Reykjavik liegt das kleine Örtchen Reykholt. Der „Rauch“ im Ortsnamen verweist auf die vielen heißen Quellen im Tal. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts nutzten die Isländer in Reykholt die Wärmeenergie zur Beheizung ihrer Häuser. Für Knútur Àrmann ist diese Energie wichtig für den Tomatenanbau, den er seit 25 Jahren in Reykholt betreibt. Knapp ein Fünftel der gesamten Tomatenproduktion Islands, 1.600 Tonnen, erntet Knútur im Jahr. Inzwischen lebt der Tomatenbauer nicht nur von seinen Paradiesäpfeln, sondern auch von Touristen, die bei ihm einkehren, um alle möglichen Variationen der Tomatenverköstigung kennenzulernen.
Eine Spieleecke hat er noch nicht in seinem Fridheimar eingerichtet, überhaupt findet man in ganz Reykholt keine Spur von Rosenbergs Spiel REYKHOLT, dabei setzt er doch dem Tomatenanbau und dem Ort ein spielerisches Denkmal.
Wie in Knúturs Alltag geht es in REYKHOLT um Gemüseanbau und Touristenakquise. Siegentscheidend ist das Vorankommen der Spielfiguren auf einer Tourismusleiste, auf der jeder Schritt unterschiedliche Gemüsesorten kostet. Anfangs ist es nur eine Tomate oder ein Blumenkohl, später werden es zwei Salate, drei Pilze oder vier Möhren, bis man am Ende fünf oder sechs Gemüse abgeben muss. In sieben Spielrunden hat jeder also Sorge zu tragen, immer mehr Erträge aus den Gewächshäusern zu erwirtschaften.
Dieser landwirtschaftliche Teil zeigt am deutlichsten den Autor Rosenberg. Im Zentrum von „Arbeits-“ und „Erntezeit“ steht die Nutzung von Aktionsfeldern durch den Einsatz von nur drei Arbeitern. Da gibt es Felder, die direkt Gemüse abwerfen, aber auch Bereiche, in denen man Gewächshäuser erwerben kann. Die Größe des Gewächshauses schränkt die Sortenvielfalt ein. Die kleinen Gewächshäuser lassen den Anbau aller fünf Gemüsesorten zu, die großen mit sechs Erntefeldern beschränken sich auf zwei Sorten. Gekoppelt mit einer zusätzlich zu wählenden Aktion „Aussäen“ wird eine passende Sorte angepflanzt, die sich dann automatisch in der Größe des Gewächshauses vervielfältigt. Über Ernteaktionen kommen die Gemüsebauern an ihre Ernte heran, aber vor allem durch die Phase „Erntezeit“, in der jedes Gewächshaus Erträge abwirft. Varianz schafft Rosenberg durch Servicekarten, die in fünf Sets dem Spiel beiliegen, wobei stets nur eine Fünferauswahl der Karten zum Einsatz kommt. Über zwei Aktionsfelder kommen die Spieler in den Genuss der Serviceleistungen. Einmal direkt, das andere Mal im Spiel ab drei Spielern auch indirekt, indem man an Karten der Nachbarn partizipiert. Die beiden ersten Phasen dienen der Ressourcengewinnung, die sich dann in der Tourismuszeit auswirkt, wenn die Spieler das gesammelte Gemüse für Bewegungsschritte nutzen. Dabei hat sich Rosenberg auch hier etwas Interessantes einfallen lassen. Einmal dürfen alle Spieler während der Bewegung eine Prämie nutzen, bei der das Feld, auf das man gehen möchte, nicht nur nicht bezahlt wird, sondern sogar den Ertrag abwirft, der sofort für die weitere Wegeplanung genutzt werden kann. Wer am Ende nach der siebten Runde auf der Tourismusleiste vorn liegt, gewinnt REYKHOLT in Vollbesetzung zu viert nach einer knappen Stunde. Im Gemüseduell geht es deutlich schneller, da ist eine Partie schon nach einer halben Stunde beendet. Uwe Rosenberg lässt natürlich eine Solovariante zu, die ich aber nicht getestet habe.
In REYKHOLT kann man sich allein schon wegen der traumhaften Grafik Lukas Siegmons verlieben. Er zeigt zwar eine Gewächshausidylle, die nichts mit der Realität der Glashäuser Àrmanns zu tun hat, aber seine romantische Sicht auf den Tomatenanbau würde ich mir sogar als Poster aufhängen. Das Spiel selbst, das sich langsam entwickelt, hat Rosenberg klar strukturiert und mit vielen kleinen Spannungsbögen versehen, die in der Konkurrenz um die interessanten Aktionsfelder entstehen und vor allem in der Umsetzung der Planungsüberlegungen für die Tourismusphase zum Tragen kommen. Die gute Verzahnung bekommt man frühestens nach der ersten Partie in den Griff. Der Kampf um die Aktionsfelder bringt eine gewisse Interaktion mit sich, ansonsten spielt sich REYKHOLT aber ziemlich solitär. Das liegt an dem repetitiven Kampf um die lukrativen Aktionsfelder und am eintönigen Tourismus-Rhythmus im ewig gleichen Ablauf von Tomate, Salat und Karotten. Auch die darüber hinaus gehenden Rundenziele wiederholen sich. Anfangs baut man viele Gewächshäuser, die dann in den letzten beiden Runden auf den Markt geworfen werden, um Tischfortschritte auf der Siegleiste zu erhalten. Spannend bleibt allerdings das Positionsgeplänkel, weil man nicht als Erster ziehen möchte, da bei Platzierungen auf identischen Feldern der Nachkommende auf den vordersten Platz rückt. Das entscheidet oft über den Sieg und die weiteren Plätze. Trotz dieser kritischen Anmerkungen mag ich REYKHOLT und bin gerne wieder bei der nächsten Partie dabei. Thema und Umsetzung gefallen mir, für mich ist die Varianz durch die Aktionskarten auch ausreichend. Ein leichter Rosenberg, der an NUSFJORD oder GLASSTRASSE nicht heranreicht, aber auf der Ebene der Puzzle-Trilogie der Edition Spielwiese mithalten kann.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: REYKHOLT
Autor: Uwe Rosenberg
Grafik/Design: Lukas Siegmon
Verlag: Frosted Games Vertrieb: Pegasus
Alter: ab 12 Jahren
Spielerzahl: 1 - 4
Spielzeit: 30 - 60 Min.
Preis: ca. 45 Euro
Spiel 30/2019
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