Donnerstag, 26. September 2019
KLEINANZEIGEN
„Kleine Welten“ nennt Frank Kunert seine Bildinszenierungen. Der 56jährige Fotograf sucht seine Objekte nicht in der Realität, sondern entwickelt Bildideen auf Märklinebene Spur 1. Er arbeitet damit nicht nur als exzellenter Fotograf, sondern ist außerdem perfekter Modellbauer. Seine Sichtweisen wirken real, sind aber bei genauer Betrachtung gebrochen, melancholisch, oft auch grotesk. Kunerts Bilder erfordern das genaue Hinsehen, den zweiten Blick.
Doppelt Hinsehen darf man nun auch in der gelungenen Kooperation des Frankfurter Verlages MeterMorphosen mit dem Inszenierungskünstler aus Boppard. Kunert spendiert dafür 36 seiner besten Motive, die er zusätzlich interpretatorisch mit einem Begleittext versieht, einer KLEINANZEIGE. Daraus macht der Verlag das, was häufig in seinem Programm auftaucht, ein MEMO-Spiel. Spieltechnisch ergibt dies dann Hausmannskost, gilt es doch ganz simpel der passenden Anzeige ein Bild zuzuordnen oder umgekehrt. Teilweise helfen Farben und Strukturen auf den Pappkärtchen weiter, so der Schnee bei der „geschlossenen Gesellschaft“, die den Tischvorsitzenden ausgrenzt und vor dem Fenster in eisiger Kälte sitzen lässt. Menschen sind auf Kunerts Bilder nicht zu sehen. Wir bemerken nur den gepolsterten leeren Stuhl, der in seinem geschwungenen Holzdesign den Stühlen am festlich gedeckten Tisch im warmen Wohnzimmer entspricht.
Selten habe ich erlebt, dass MEMO-Karten so lange und intensiv betrachtet werden. Der Verlag hat sich zum Glück nicht auf die üblichen kleinen quadratischen Bilder beschränkt, sondern bietet recht große Abbildungen im Format 8,5x6,5 cm an. Da kann man die Dachwohnung auf dem First mit separatem Eingang und dem „Gefühl von Freiheit“ genauer betrachten. Das gilt auch für die öffentliche Toilette, die in einer Bushaltestelle eingebaut ist. „Freiwillige“ werden „zur Abwicklung kleiner und großer Geschäfte vor Publikum“ gesucht. Die Zuschauerbänke stehen mehrreihig schon bereit.
Der Verlag spendiert dieser besonderen Kartenzusammenstellung eine ganz ausgefallene Umverpackung. Die 72 MEMO-Karten stecken in einem Leitz-Schuber. Die integrierte Tesafilmklebung verführt fast zum Abpulen des Klebers. Mit Register kommt die Spielanleitung daher, die weit über die übliche Spielregel hinausgeht. Sie berichtet ausführlich über die Arbeit des Künstlers und liefert eine Gesamtübersicht über alle Bild-Text-Kombinationen. Das ist alles so stimmig gemacht, dass Kunerts Spiel KLEINANZEIGEN im Juni dieses Jahres den Produktpreis FORM 2019 vom Bundesverband Kunsthandwerk erhalten hat. Auch wenn alles brüchig und morbide in Kunerts Bildern zugeht, die spielerische Umsetzung klappt perfekt. Nur die unterschiedliche horizontale und vertikale Ausrichtung der Karten gefällt mir nicht, außerdem finde ich die Alterseinordnung ab sechs Jahren sehr ambitioniert.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: KLEINANZEIGEN
Autor: Frank Kunert
Grafik/Design: Frank Kunert
Verlag: MeterMorphosen
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 und mehr
Spielzeit: ca. 15 Minuten
Preis: ca. 19 Euro
Spiel 63/2019
Donnerstag, 19. September 2019
MANDALA
100% Baumwolle, waschbar bis 60 Grad, auch das Bügeleisen darf bis auf 200 Grad hochfahren, das sind keine Angaben zu Krimimasters karierter Tischdecke, aber zu einem Objekt, das dank Aufhängung einerseits als Geschirrtuch taugt, aber viel besser auf dem Spieltisch landet. Die Zeiten von Skaiplänen, die man ständig gegenrollen musste, sind vorbei, jetzt darf man gegen Knicke auf der Leinenwäsche angehen.
Was soll diese profane Einleitung, wo mir das Spiel doch tiefsinnige Abschweifungen zu den vier edlen Wahrheiten des Buddhismus ermöglichen würde? Sie soll ganz simpel hinführen zu einem hervorragenden Zweipersonenspiel von Lookout, das Trevor Benjamin und Brett J. Gilbert entwickelt haben. Die beiden englischen Autoren nutzen farbenfrohe MANDALAs nicht zeichnerisch, nicht durch ein Legespiel, wie es Ferdinand Hein einst gemacht hat, sondern für ein taktisches Kartenspiel.
Die Genialität guter Spiele ergibt sich aus minimalem Regelaufwand und wachsender Spieltiefe. Eben dies gelingt den beiden Autoren mit MANDALA. Mit 108 Spielkarten in sechs Farben und einem einfachen Spielablauf auf dem Geschirrtuch ergeben sich spannende Duelle.
Die Spieldecke enthält zwei zentrale Mandala-Bereiche, in die Karten gespielt werden müssen, von dort wandern Teile in persönliche Wertungsflüsse und in Punktekelche. Jeder startet mit sechs Karten, zusätzlich landen verdeckt zwei auf dem jeweiligen Kelch. Im Zentrum der beiden Mandalas werden je zwei Karten offen aufgedeckt. Danach beginnt das Kartenduell. Der aktive Spieler legt entweder eine weitere Karte in ein Mandala-Zentrum und zieht maximal drei Handkarten nach. Dabei muss er auf das Limit von acht Karten achten. Alternativ darf er beliebig viele Karten einer Farbe in dem ihm zugewandten unteren Teil des Mandalas spielen. In beiden Fällen darf er Farben, die an anderer Stelle in diesem Mandala vorkommen, nicht nutzen und er muss prüfen, ob eines vollendet ist. Das tritt immer dann ein, wenn alle sechs Farben zu sehen sind. In diesem Fall wird die Kartenkonstellation in der Spielfeldmitte aufgelöst. Verteilt werden nur die ins Zentrum gespielten Karten. Alle anderen regeln mehrheitlich, wer den ersten Zugriff erhält. Taucht eine Farbe erstmalig in der persönlichen Sammlung auf, landet sie im Flussbereich der Spieler, der definiert, wie viele Punkte einzelne Farbkarten für sie wert sind. Die erste Farbe bringt einen Punkt, die sechste beendet das Spiel und wertet diese Farbe mit sechs Punkten. Taucht eine Flussfarbe später erneut auf, landet sie gleich auf dem Kelch.
Das sind schon alle Regeln. Am Ende, das gleichfalls eintritt, wenn der Zugstapel leer ist und noch ein Mandala gewertet wird, zählen nur die Kelch-Karten, die im Fluss nicht. Eine gute Kartenverwaltung ist wichtig für MANDALA. Stets müssen eigene und fremde Optionen im Blick behalten werden, wenn man selbst eine Wertung auslöst oder der Gegner kurz vor einer steht. Da schielt man auf hohe Flusspunkte, aber auch auf Überschüsse für den eigenen Kelch. Manchmal muss man sogar drei Karten einer Farbe opfern, um den ersten Zugriff zu bekommen, damit der Gegner nicht viele Karten mit Fünfer-Wertung in seinen Kelch bekommt. Das Taktieren um die Mandala-Wertung ist immer spannend. Nicht mit in der Wertung zu sein, ist nicht zu empfehlen. Die wenigen Regeln ergeben eine Spieltiefe, die man so anfangs gar nicht erwartet. Lookout dürfte im Bereich der Spiele für zwei Personen mit MANDALA an den Erfolg von Rosenbergs PATCHWORK anknüpfen. Ein herausragendes Spiel, das ich gerne ab sofort täglich spiele.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MANDALA
Autoren: Trevor Benjamin, Brett J. Gilbert
Grafik/Design: Klemens Franz
Verlag: Lookout Spiele
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2
Spielzeit: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 22 Euro
Spiel 61/2019
Freitag, 6. September 2019
MIYABI
Vor zwei Jahren stellte Michael Kiesling auf dem Autorentreffen ein Gartenbauspiel vor. In der spielbox würdigte ich 2017 diesen Prototypen. „Kiesling hält das in Göttingen vorgestellte CRAZY GARDEN für eines seiner besten Spiele. Das Anspielen zeigte, dass es im Bereich der Gartenspiele neue Dimensionen eröffnet. Kieslings Garten entwächst der Eindimensionalität, schafft wertungsträchtige Hochbeete und besitzt für die Anbaurunden einen innovativen Sperrmechanismus.“
Damals war ich schon angetan, jetzt freue ich mich, dass Kieslings Idee als MYABI von Haba verlegt wird und zur Spiel in Essen erscheint.
Nachlesen können Sie meine Besprechung in der spielbox Heft 6/2019
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: MIYABI
Autor: Michael Kiesling
Grafik/Design: Studio Vieleck
Verlag: Haba
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 – 4
Spielzeit: ca. 45 Minuten
Preis: ca. 30 Euro
Spiel 59/2019
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